Tram-Haltestelle im Prenzlauer Berg. Ein Mann um die vierzig stampft hin und her, lautstark auf ein unsichtbares Gegenüber einschimpfend. Am Revers trägt er ein Knopfmikro – also kein Verrückter, nur ein Freiberufler, der ausstehende Honorare anmahnt. Ein paar Meter weiter blättert ein Jogginghosenträger mit einem Seesack voller Pfandflaschen in der BILD-Zeitung. Zwischen den beiden sitzen zwei hinter futuristischen Kinderwagen verschanzte Damen, die sich von dem H&M-Model hinter ihnen hauptsächlich durch ihre Dreidimensionalität unterscheiden. »Wie geht’s Justus?«, fragt die eine, während sie an ihrem iPod herumtippt. »Ach, sein Vater ist vor drei Wochen gestorben«, antwortet die andere, fahrig über ihr Smartphone-Display streichend. »Seitdem hängt er nur noch rum – ätzend! Wenn das so weitergeht, lass ich mich scheiden.« »Haste ihm das gesagt?« »Ja.« »Machste richtig.« Die eine setzt Ohrstöpsel ein, die andere hebt das Handy in die Luft und macht ein Foto von sich. Das so entstandene »Selfie« posted sie noch fix in irgendeinem sozialen Netzwerk, dann verstöpselt auch sie ihre Ohren. Von ihren in die Ferne lauschenden Müttern unbemerkt, beginnen die Kinder zu krakelen, erst das eine, dann das andere. Der zeternde Freiberufler rückt etwas ab, der Flaschensammler hebt die Zeitung höher. Auf der Titelseite ist zu lesen, dass die Kanzlerin einem Wurstfabrikanten, der knapp 30 Millionen Steuergelder hinterzogen hat und dafür nun dreieinhalb Jahre ins Gefängnis muss, »Respekt zollt«. Und damit ist die Kanzlerin nicht allein...
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