In meiner Grundschulklasse Anfang der Siebziger gab es Zwillinge, die »antiautoritär erzogen« wurden, wie mir meine Eltern erklärten. Für uns andere waren sie einfach »Nasen«, was so viel wie »Deppen« bedeutete. Raik und Maik durften selbst entscheiden, ob sie am Unterricht teilnehmen oder lieber brüllend durchs Klassenzimmer laufen wollten. Wenn sie Lust hatten, etwas kaputt zu machen oder einen von uns zünftig zu verprügeln, taten sie das eben. Ihre Eltern fanden, das hätte was mit Freiheit und Selbstbestimmung zu tun, weshalb sie unseren Eltern als »Anarchisten« galten. Aber das ist Quatsch. Der politische Anarchismus will zwar die Gesellschaft vom Staat befreien, aber nicht den Menschen von der Gesellschaft. Auch für Anarchisten ist die Freiheit des Einzelnen begrenzt von den Grundrechten seiner Mitmenschen. Ich glaube, die Eltern von Raik und Maik waren einfach nur esoterisch verwirrt. Sie liefen auch im Winter barfuß, verteilten Flugblätter über die Gefahren des Impfens und tanzten am Wochenende das Tambourin schlagend um eine Mutter-Erde-Skulptur in ihrem Garten, wie Nachbarn erzählten...
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