Der Maler Théodore Géricault starb 1824 in Paris an einem Tumor der Wirbelsäule. Er wurde nur 32 Jahre alt. Dennoch gilt er als Begründer der romantischen Schule in Frankreich und als Pionier des Realismus. Géricault war aber auch ein Mensch, der der menschlichen Existenz auf den Grund gehen wollte. Er malte abgehackte Glieder, fertigte anatomische Skizzen an. Géricaults berühmtestes Bild ist »Das Floß der Medusa«. Mit dem fünf mal sieben Meter monumentalen Bild der auf einem Floß ihrem Schicksal überlassenen Soldaten und Matrosen der französischen Fregatte Medusa, vor der afrikanischen Küste havariert, hatte der Maler im Pariser Salon von 1819 einen Skandal verursacht. Es zeigt die leidenden Menschen auf engstem Raum. Sterbende Körper sind zu sehen, entblößte Gliedmaßen, Verzweiflung und Resignation zeichnen die Gesichter. Vor allem jedoch ist Géricault der erste Künstler, der Geisteskranke auf eine geradezu intime Weise porträtierte. Damals setzte sich gerade der Gedanke durch, dass Geisteskranke keine Tiere oder Bestien sind. Heute ist anerkannte Meinung, dass es sich um einen Irrweg handelte, was damals sowohl in der Gelehrtenrepublik als auch in der besseren Gesellschaft zu einem Modephänomen wurde, das Ablesen des Charakters aus körperlichen Zeichen. Man dachte ungefähr so: Die Psyche ist im Leib gefangen, prägt ihn aber so deutlich, dass die innere Beschaffenheit des Menschen an seinem Äußeren zu erkennen ist. Zwischen 1820 und 1824 porträtierte Géricault fünf Geisteskranke – »Monomanen« nach dem damaligen Sprachgebrauch. Sie stellen je ein Krankheitsbild dar. Er zeichnete seine Modelle mit angespannten Gesichtszügen, leicht geöffneten Mündern, starren Blicken und rot unterlaufenen Augen. Die Haut tönte er mit Schwefelgelb und Grün, um das Leiden zu dramatisieren. Doch das sind keine Karikaturen oder Sensationsstücke, sondern ergreifende und beunruhigende Bildnisse. Die Porträts wirken einfühlsam, scheinen keinerlei Anspruch auf eine objektive Beobachtung zu erheben, respektieren das Individuum. Der Betrachter ist nicht mit einem unbeseelten »Geisteskranken« konfrontiert, sondern mit einem Menschen, der an einer Krankheit leidet. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Psychiatrie, der Begriff selbst tauchte ab 1842 auf. Die Reformbewegung ging von England aus. Philanthropische Ärzte setzten sich dafür ein, den verheerenden Umgang mit psychisch Kranken zu beenden. Nicht selten verbrachten diese ihr Leben in Gefängnissen, wurden von der Gesellschaft ferngehalten, verwahrlosten. Es war der Beginn eines langen Weges hin zu humaneren Formen der Behandlung...
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