Prolog
Anita Wolf hält sich an der Hand ihres Mannes fest. Sie sitzt an seinem Bett, seine Hand ist warm, sein Gesicht entspannt. Der Trubel der Intensivstation – das unablässige Fiepen der Maschinen, das grelle Blinken der Geräte –, all das rückt ganz weit weg von ihr. Es wird still in Anita Wolf. Ihr Mann ist hirntot. Das hat der junge Arzt gesagt, dessen Schuhe bei jedem Schritt auf dem Linoleumboden quietschen. Irreversibler Funktionsausfall des Großhirns, Kleinhirns, Hirnstamms. Am frühen Morgen hatte ihr Mann aufgehört zu atmen. 60 Jahre alt, nach einem schweren Schlaganfall gerade eine Woche wieder zu Hause. Der Notarzt hatte ihn wiederbelebt. Sein Herz pumpt weiter zuverlässig Blut durch den Körper – doch das Gehirn ist bereits gestorben. Seine Hand ruht in ihrer Hand. Der junge Arzt ist immer noch da. Anita Wolf spürt, dass da noch etwas ist, sie wartet. Schließlich fragt der Arzt: »Wissen Sie, wie Ihr Mann zur Organspende stand?« Anita Wolf atmet tief ein und aus. Der Tod, er war immer so weit weg. Einen Organspenderausweis haben beide nicht. Der Arzt erklärt, was bei der Spende passieren würde, Anita Wolf schwirrt der Kopf. Was hätte ihr Mann gewollt? »Nehmen Sie sich Zeit zum Nachdenken«, sagt der Arzt, die zweite Hirntoddiagnose machen wir erst morgen. Anita Wolf ist erleichtert, denkt: Gut, dann hab ich ihn noch länger. Sie bleibt am Bett ihres Mannes sitzen. Sie will bei ihm sein. Einfach neben ihm sitzen und weiteratmen. »Gleich kommt jemand von der Stiftung für Organtransplantation«, sagt der Arzt noch, »mit dem können Sie sprechen, alles fragen und in Ruhe entscheiden.« Anita Wolf nickt, ja, sie will mehr erfahren. Aber sie ist bereits entschlossen: Ihr Mann hat immer gern geholfen, nun sollen seine Organe anderen das Leben retten...
Sie lesen die Vorschau
Sie haben diese Ausgabe gekauft oder ein digitales Abo?
Dann melden Sie sich an, um den vollständigen Artikel zu lesen.
Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Ausgabe {ausgabe}.