Würdig leben und sterben – wie geht das?

Titelseite: Würdig leben und sterben – wie geht das?
Ausgabe 2013/02

Inhalt

»Ich will diese Zeit wachen Auges durchstehen«

Hansjörg Schneider gibt ein persönliches Zeugnis seines Trauerjahres

Von Stefan Seidel


  • Foto: Steffen Giersch
  • Stefan Seidel (35) lebt als Literatur- und Filmexperte in Leipzig und arbeitet als Kulturredakteur für eine sächsische Wochenzeitung.Foto: Privat

Hansjörg Schneider gibt ein persönliches Zeugnis seines Trauerjahres

Dieses Trauertagebuch hat sich der Schweizer Schriftsteller und Dramatiker Hansjörg Schneider förmlich von der Seele geschrieben. Als seine Frau Astrid am 22. November 1997 an Lungenkrebs stirbt, gerät seine Welt aus den Fugen. Die jahrzehntelange Gefährtin, innig geliebte und verehrte Ehefrau hatte der Tod plötzlich von ihm gerissen. Der Schock sitzt tief. Da ist Lähmung, da ist Leere, da ist Verzweiflung. Schneider will nicht untergehen und klammert sich an das Schreiben wie ein Ertrinkender ans Rettungs­boot. Er beschreibt seine tiefe Trauer und die Wege und Sackgassen, die er versucht, um aus dieser schwar­zen Nacht der Seele herauszufinden. »Im Moment helfen mir nur Wörter, die ich aufschreibe. Gespräche helfen mir nicht, sie öden mich an. Ich versuche Tagebuch zu führen, um mich zu retten«, schreibt er fünf Tage nach dem Tod seiner Frau. • Entstanden ist ein bewegendes Büchlein, das Hansjörg Schneider erst zwölf Jahre nach seinem Entstehen zu veröffentlichen wagt. Schreibend wird er sich den Ausmaßen des Verlustes bewusst: »Unser gemeinsames Alter, das wir gut vorbereitet hatten, findet nicht statt«, notiert er. Ihm fehlt Astrids Nähe, ihr Atem. Es fehlt ihm, dass sie ihn anschaut. Es fehlen ihm die Gespräche mit ihr. • Er will sich nicht in Ablenkung flüchten und nicht in Psychopharmaka. »Ich will diese Zeit wachen Auges durchstehen.« Er entdeckt das Wort Trauerarbeit für sich: Trauern als harte Arbeit, als Aushalten der Einsamkeit, des puren Schmerzes des Zurückgelassenseins. »Dass sie sterben könnte, daran habe ich nie gedacht. Sie war das Fundament meines Lebens. Niemand hält es für möglich, dass er den Boden, auf dem er steht, unter den Füßen verliert.« • Trost sind ihm seine zwei Kinder, die sich beherzt und lebensstark der neuen Situation stellen, ihm ein Stück Alltäglichkeit des Lebens bewahren. Trost ist ihm seine Arbeit, die Fortführung begonnener Buchprojekte. Trost ist ihm die unspektakuläre, weithügelige, sanfte Landschaft des Schwarzwaldes. Doch immer wieder schießen die Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes hinein wie bittersüße Pfeile. Als er das Wochenendhäuschen im Elsass betritt, kommen ihm die Tränen: »Es riecht alles nach A.« • Schneider erkennt in diesem quälenden Trauerprozess das große Geschenk, das ihm seine Frau war. »Sie hat mir gezeigt, wie man lebt, wie man liebt.« Auf langen Waldspaziergängen und in schlaflosen Nächten reift ein Gefühl der Dankbarkeit. Irgendwann kreist er nicht mehr um die Frage, ob er sie nicht hätte vom Rauchen abhalten sollen, ob er nicht eher mit ihr den Arzt hätte konsultieren sollen. Irgendwann kann er loslassen. »Jetzt löse ich meine Seele von ihrer Seele. Ich bin mir selber zurückgegeben. Ich kann mit meinem Leben wieder machen, was ich will. Ich muss es tun, will ich nicht sterben.« • Auf solche Momente folgen aber auch wieder Momente des Versinkens in ausweglose Trauer. Aber alles dient dazu, das Leben schließlich anzunehmen, wie es ist. Hansjörg Schneiders intimes Zeugnis seiner Trauer ist ein Geschenk. Ein Lobpreis des Lebens und eine Versöhnung mit dem Sterbenmüssen. Es hat die Kraft, zu trösten...

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