Verwundbarkeit annehmen
In gewisser Weise passt das bereits vor einigen Jahren erschienene und nun wieder aufgelegte Büchlein »Verwundet bin ich aufgehoben« von Pierre Stutz gut in diese Zeit. Denn Corona hat uns heftig mit der Verwundbarkeit konfrontiert, was zu verbreiteter Angst, Verunsicherung und Bedrängnis führt. Es gilt, nicht nur äußere Wege und Möglichkeiten zu finden, sich zu schützen und die Risiken des Verwundetwerdens zu minimieren. Sondern auch innere Wege. Das ist ungewohnt. Denn meistens sind wir nicht gewohnt, eigenes Schwachsein anzuschauen, zu akzeptieren und einen Umgang damit zu finden. Vielmehr sind die meisten getrimmt auf Selbstoptimierung und rasche Behebung der Schwächen, auf Fitness und Stärke. Insofern ist das Büchlein von Pierre Stutz ein behutsames Lehrbuch, den eigenen Ängsten und der eigenen Verwundbarkeit auf den Grund zu gehen und sie innerlich zu verwandeln. Zu dieser Selbstannahme und Selbstliebe zu gelangen, ist das Ziel der Impulse. Stutz schreibt: »Wer menschlich bleibt, bleibt unvollkommen, macht Fehler, kennt Widersprüche, Zerissenheit, Wunden und Verletzlichkeit.« Seine Erfahrungsberichte und Meditationstexte wollen das Urvertrauen stärken – in einen tieferen Grund des Menschen, der ihn bedingungslos trägt, eine umfassende Kraft, die führt und hilft. Für Stutz ist das eine göttliche Kraft, die er in der mystischen Tradition mit eigenen Bildern beschreibt. Doch diese sind so offen, dass auch religiös nicht vorgeprägte Menschen Anschluss finden können. Stutz schreibt: »Ich veröffentliche diese sehr persönlichen Gebete als Ermutigung an die Leserinnen und Leser für eine Spiritualität der Unvollkommenheit. (...) So verstehe ich meine Aufgabe: Worte vorzulegen, damit andere Menschen sich darin wiederfinden können und so durch Bestärkung und allenfalls Widerstände ihren ureigenen Erfahrungen trauen.« In vielen geteilten Erfahrungen von Stutz geht es um das Verabschieden eines Idealbildes und das Annehmen der eigenen vermeintlichen Unzulänglichkeit, die sich beim zweiten Hinsehen als das ureigene Selbstsein entpuppt. Das beinhaltet auch, einen bewussten Umgang mit dem zu finden, an dem man leidet. Stutz zitiert den vietnamesischen Mystiker Thich Nhat Hanh: »Lauf bitte nicht vor deinem Leiden davon. Umarme es und erkenne seinen Wert.« Stutz macht vertraut mit vielen mystischen Gedanken aus Tradition und Gegenwart und fügt seine eigenen Sprachversuche an – diese sind nah am alltäglichen Erleben und an Erfahrungen, die so oder ein wenig anders jeder und jede im Leben einmal macht...
Sie lesen die Vorschau
Sie haben diese Ausgabe gekauft oder ein digitales Abo?
Dann melden Sie sich an, um den vollständigen Artikel zu lesen.
Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Ausgabe {ausgabe}.